Aktuell – 2022 – wird „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert. (siehe die Links unter den Bildern)
Wir haben in Vetzberg einen jüdischen Friedhof.
Das hat mich neugierig gemacht.
Hinzu kamen das Verlegen von Stolpersteinen vor den Häusern der im 3. Reich ermordeten Mitbürger und der Beitritt der Gemeinde zur Fritz-Bauer-Stiftung, wie auch ein Besuch in der jüdischen Synagoge in Gießen.
Anlass genug, diese Zeilen zu schreiben.
So beschäftigt sich dieser Artikel mit dem jüdischen Leben in Biebertal, wie auch mit den geistigen Hintergründen der jüdischen Sonderrolle in einer christlichen Welt.
Denn im Namen des christlichen Glaubens wurde über viele Jahrhunderte, nach einer anfangs eignen leidvollen Geschichte mit vielen Märtyrerschicksalen, eine überhebliche, expansive und (dann lange Zeit in der Welt eine vorwiegend europäische und weiß geprägte) mörderische Geschichte geschrieben.
Dies soll nun ein Artikel gegen das Vergessen sein, ein Artikel der Ermutigung, sich gegen ideologischen Unsinn, „fake news“ und Nationalismus zu stemmen, wo immer sie auftreten – gerade wo sich diese Ideologien weltweit wieder aufschwingen und schwachsinnige einfache Lösungen für komplexe Fragestellungen versprechen.
Hier in Biebertal brannte in der Pogromnacht 1938 keine Synagoge.
Die jüdische Bevölkerung war bereits im 19. Jahrhundert aus Vetzberg und Rodheim weggezogen.
Am Beispiel jüdischen Lebens, also von Menschen, die nicht anders sind als andere, die nur ein bestimmtes Weltbild leben, will ich stellvertretend für viele andere Volksgruppen, einen Blick zurück wagen, um Entwicklungen aufzuzeigen, die fatale Narrative (Erzählungen) entstehen lassen.
Denn alle unser Geschichten, die wir erzählen, alle unsere Entscheidungen und Handlungen, die wir treffen, haben Auswirkungen in Raum und Zeit.
Die ersten Dokumente, die auf jüdische Einwohner In Vetzberg hinweisen, finden sich im Jahr 1462.
1671 wurde die Einrichtung des Vetzberger Friedhofs „nun und zu ewigen tagen“ zwischen sieben Vetzberger Juden und dem Landbesitzern vereinbart. Als Pacht musste der jüdische Gemeindevorsteher jährlich am Johannestag (24. Juni, in Schaltjahren 23.) einen 3 Pfund schweren Zuckerhut von bester Qualität liefern und jede jüdische Familie pro Jahr einen Geldbetrag von 6 Albus*) Münzwelt Albus oder stattdessen zwei junge Hähne zahlen.
Wie Manfred Schmidt in „Vetzberg im Wandel der Zeit“ schreibt, steht für Juden vor dem Bau einer Synagoge die Einrichtung eines eigenen Friedhofs, den sie „Haus der Ewigkeit“ nennen. Die Totenruhe darf nicht gestört werden. Eine Mehrfachbelegung von Gräbern ist demnach undenkbar.
Anders als Christen, die ihre Toten gerne auf dem Kirchhof in der Nähe ihres Gotteshauses begruben, legten Juden ihre Friedhöfe außerhalb ihrer Wohnviertel an.
Denn nach jüdischem Glauben macht der Kontakt mit Tot und Verwesung unrein. Deshalb wurden die Toten möglichst noch am Todestag begraben.
Neben Gemeindemitgliedern aus Vetzberg fanden dort auch diejenigen aus Krofdorf und Wißmar ihre letzte Ruhe.
Nur Ausnahmsweise wurde 1894 zudem eine Rodheimerin dort bestattet, deren Mann aus Vetzberg stammte.
1853 wurde ein weiteres Grundstück zur Erweiterung des Friedhofs erworben, das bisherige Gelände Mitte des 19. Jh. voll belegt war. Heute ist der jüdische Friedhof die letzte Erinnerung an die jüdische Gemeinde bei uns im Ort.
Heute sind noch 18 Grabsteine erhalten.
Ein talmudischer Spruch sagt: „Es gibt 3 Kronen: die Krone der Gotteslehre, des Priesters- und Königtums, aber die Krone eines guten Namens überragt sie alle.“
So ist auch das Einzige, was nach jüdischen Gesetzten auf einem Grabstein stehen muss, der Name der begrabenen Person, so dass der Name von Gott nicht vergessen wird.
Aus diesem Grund sammelt die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel (Shem = Name) die Namen aller durch den Holocaust umgekommenen Juden, die namenlos begraben wurden.
Wenn ich die ersten Seiten von Manfred Schmidt recht verstehe (im Anhang die Originalbuchseiten), waren die ersten Menschen jüdischen Glaubens in Vetzberg zu ihrem Schutz dort aufgenommen worden. Dafür spricht, das Schutzgeld, das Juden entrichten mussten, um an ihrem Aufenthaltsort verbleiben zu dürfen. Aus Atzbach, Krofdorf und Wissmar ist überliefert, dass das Schutzgeld 1748 jährlich 20 Gulden pro Familie betrug.
Neben diesem Schutzgeld hatten die Juden insgesamt 56 Gulden und 10 Albus „Pferd Geld“ zu entrichten, sowie nach Gleiberg 2 Gulden „Neujahrsgeld“ von 6 Familien in Vetzberg.
Eine weitere Abgabe war der „Leibzoll“, der jedes Mal entrichtet werden musste, wenn eine Grenze passiert wurde.
Konnten die Abgaben wegen Verarmung nicht mehr geleistet werden, wurden die Familien oft ausgewiesen. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, also der Zeit der beginnenden industriellen Revolution wie auch von Revolutionen und Kriegen, nahm angesichts steigender Armut in der Gemeinde Vetzberg der Widerstand zu, weitere Schutzjuden aufzunehmen.
Obwohl die Juden keine Ortsbürger (und auch keine Markgenossen) waren und somit die gemeindliche Armenkasse nicht in Anspruch nehmen konnten, wurden sie von den Christen unterstützt. Die ärmer werdenden Juden baten immer wieder um Einlass, wenigstens aber um Minderung ihrer Schutzgeldzahlungen.
In besseren Zeiten zuvor hatten die meist gut situierten Juden christliche Dienstboten, die ihnen ihre am Sabbat verbotenen Arbeiten verrichteten. Nur wenn die Feiertage zusammenfielen, sollten die Christen ihren Feiertag heiligen.
Unter den weit verstreut lebenden Juden bestand durch persönliche Kontakte und Verbindungen ein dichtes Netz an Nachrichten- und Handelsverbindungen im Nah- und Fernbereich. Von den Handwerksberufen (außer dem Beruf des Metzgers, im Hinblick auf rituelles Schächten) ausgeschlossen, widmeten sich die Juden dem Warenhandel und Geldverkehr. Durch ihre guten Verbindungen, wie auch durch ihre gute Bildung, wurden die Juden zwar gebraucht, waren aber dennoch stets von Ausweisung oder finanziellen Sonderzahlungen bedroht.
Quelle der kursiven Textstellen: Manfred Schmidt „Vetzberg im Wandel der Zeit“
Wie es dazu kam; ein kurzer Blick in die Geschichte
„Christusmörder“, „Wucherer“, „Schacherer“: Judenfeindschaft hat eine lange Tradition.
Von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit verfestigte sich ein negatives Judenbild, aufgeladen durch antijüdische Mythen und Klischees zum Antisemitismus.
Am Anfang der traditionellen Judenfeindschaft stand der konflikthafte Ablösungsprozess der frühen Christen vom Judentum, der sich im Konkurrenzkampf um den wahren Glauben, um Anhängerschaft und um Anerkennung durch Rom manifestierte.
Erste und entscheidende Ausprägungen erhielt der religiöse Antijudaismus bereits in den neutestamentlichen Schriften und in den Werken der Kirchenväter.
Seit das Christentum im 4. Jahrhundert in Rom zur Staatsreligion erhoben worden war, setzte sich die Kirche nicht nur auf religiöser Ebene mit dem Judentum auseinander, sondern beschnitt auch den rechtlich gesicherten Raum der jüdischen Minderheit als „erlaubte Religion“. Auf Synoden und Konzilien wurden Gesetze erlassen (u.a. das Verbot der Konversion zum Judentum, das Verbot der Ehe zwischen Christen und Juden oder der gemeinsamen Speiseeinnahme), die auf eine strenge Separierung von Christen und Juden zielten und letztere immer mehr aus dem öffentlichen Leben verdrängen sollten.
Mit der religiösen Durchdringung des Abendlands verbreitete sich die Judenfeindschaft zunehmend über den Kreis der Theologen hinaus und wurde fester Bestandteil der Volksfrömmigkeit.
Quelle: https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37951/von-der-antike-bis-zur-neuzeit
Im ersten nachchristlichen Jahrtausend verlagerte sich der Schwerpunkt der jüdischen Diaspora (Gebiet, in dem eine konfessionelle Minderheit lebt) immer mehr vom Nahen und Mittleren Osten nach Europa.
Dort leistete die jüdische Bevölkerung Entscheidendes für die Entwicklung der Städte, des Handels und der Kommunikation.
Zentrum des jüdischen Lebens waren bereits in der karolingischen Zeit (8. und 9. Jahrhundert) die Niederungen beiderseits des Oberrheins. Hier waren die jeweiligen jüdischen Gemeinden für die Entwicklung der Städte Speyer, Worms, Straßburg und Mainz mitentscheidend.
Mit ihrer Siedlung im Rheintal übernahmen die neuen Siedler auch hiesige Gebräuche in ihre Kultur auf – vor allem übernahmen sie Wörter und Struktur des Mittelhochdeutschen in ihre Alltagssprache, das „Jiddisch“ entstand.
Die friedliche Duldung fand ein Ende, als der Kreuzzugsgedanke ab 1096 von Rom aus beinahe ganz Europa ergriff. Überall fanden sich Demagogen, die gegen die „Christusmörder“ hetzten und die Juden der ungeheuerlichsten Verbrechen beschuldigten, was zu Massakern und Verfolgungen führte, die stets auf falschen Vorwürfen gegründet waren.
Doch trotz dieser schwierigen Beziehungen zu den Christen hat sich das kollektive jüdische Gedächtnis eine besondere Zuneigung für diese Regionen beiderseits des Rheins erhalten. So nennen sie es „d’Heim“, das Haus.
Quelle: https://www.planet-schule.de/wissenspool/die-juden-im-mittelalter/inhalt.html
Seit dem 12. Jahrhundert wurden Juden immer wieder sogenannter „satanischer“ Verbrechen wie ritueller Christenmorde, Hostienfrevel, Blasphemie oder Brunnenvergiftung beschuldigt. Bei den darauf folgenden regionalen Pogromen und Vertreibungen wurden in Spanien wie deutschlandweit ganze Gemeinden ausgelöscht.
Am schlimmsten aber kam es, als 1348 die Pest nach Mitteleuropa vordrang. Da man die wahren Verbreiter der Seuche – Läuse in den Pelzen von Ratten – nicht kannte, wurden schon bald die Juden beschuldigt, die Brunnen vergiftet und so den „Schwarzen Tod“ verschuldet zu haben.
Zwar versuchten u.a. die Reichsstände, ihre Schutzherrenrolle gegenüber den Juden – die ja für sie auch eine wichtige Einnahmequelle sind – auszuüben, doch das gelang ihnen oft nicht. Zu viele örtliche Aufwiegler hatten ein Interesse daran, die Juden umzubringen und sich an ihrem Besitz zu bereichern.
Nach dieser Zeit hatten die Juden viel von ihrer ursprünglichen wirtschaftlichen Bedeutung eingebüßt. Zudem wurden sie spätestens ab dem 15. Jahrhundert überall gezwungen, in eigenen abgegrenzten Stadtvierteln, den Ghettos oder Judengassen, zu wohnen und sich durch besondere Kleidung wie etwa dem gehörnten Spitzhut erkenntlich zu machen.
Quelle: https://www.mdr.de/geschichte/weitere-epochen/mittelalter/juden-im-mittelalter-100.html
Wie wir wissen, waren all diese schrecklichen Ereignisse in der Historie, in der deutlich weniger Menschen den Planeten bevölkerten, nur „die Spitze des Eisberges“. Denn es sollte während der Naziherrschaft in Deutschland noch weit schlimmer kommen.
In der Tradition der weißen Herrenmenschen, die nicht wegen ihres überlegenen Verstandes, sondern aufgrund ihrer überlegenen Waffen nun schon seit der Entdeckung Amerikas fremde Völker in Afrika, Amerika und Asien als unterentwickelte, minderwertige Rassen einstuften und systematisch ausrotteten, sollten nun auch die Juden einer Endlösung zugeführt werden, um die Reinheit der weißen Herrenmenschen zu gewährleisten.
Zwar hat sich dieser ideologische Unsinn inzwischen wissenschaftlich längst überholt, hält sich aber dennoch in manchen Köpfen, die ihre göttliche Überlegenheit nicht aufgeben wollen und sich für etwas Besseres halten müssen.
Dem gilt es sich entschieden entgegenzustellen. Denn wer seine Geschichte mit all ihren Dummheiten nicht kennt und versteht, der läuft große Gefahr, zu wiederholen … letztlich, bis er begreift, dass alles was er anderen antut, er sich selbst antut. Denn schneller als man denkt wird sich zeigen, dass die kurzfristigen Gewinne, langfristig mit hohen Verlusten verknüpft sind. Weder Menschen, noch Land oder natürliche Ressourcen sind Waren. Wer sich als Teil der Welt außerhalb der Welt stellt, – was gedanklich und in der Wortewelt geht, real aber nicht – beraubt sich seiner eigenen Lebensgrundlagen.
Kommen wir aber wieder zurück zum Artikel von Manfred Schmidt und seinen (hier zusammengefassten) Schilderungen:
Ein Kind von einer Familie jüdischen Glaubens bekommt bei seiner Geburt seinen hebrärischen Namen, der als heilig angesehen wird, „als Verkettung mit den Vorfahren“.
Mit diesem Namen wird ein Junge zur Tora aufgerufen und er steht bei der Beschneidung auf dem Wimpel. Der bürgerliche Name dagegen, den das Kind nach 4 Wochen bekam, gilt als alltäglich. Die ältesten Söhne bekamen den Namen des Großvaters von der mütterlichen Seite. An diesen Namen wurde dann noch der Name des Vaters angehängt, so dass z.B. Namen wie Gerson Löw = Gerson, Sohn des Löw entstanden oder Süßkind Süßkind oder Binchen Joseph, Binchen, Tochter des Josehph. Die übrigen Kinder die von übrigen Verwandten beider Seiten. War der Großvater allerdings bereits verstorben, bekam der älteste Sohn den Namen des Vaters.
1812 begann die Königlich-Preußische Regierung mit der Einführung von erblichen Familiennamen. Die durch die übliche Namensgebung vorkommende Gleichnamigkeit der Juden, die nicht selten zu Verwechslungen führte, sollte damit beseitigt werden. Die Vetzberger hießen daher ab 1845 Katz, Salomon und Bär. In der Synagoge benutzten die Juden ihre alten Namen weiter, so lautete z.B. Rebecca Süßkind, geb. Löw „Rivka bat Uri ha-Kohen“ = Rebekka, Tochter des Uri ha-Kohen, der allerdings mit bürgerlichem Namen Ferdinand Löw hieß.
Ein weiteres wichtiges Ereignis im Lebensauf ist die Bar Mitzwa (Sohn des Gesetzes, vergleichbar mit der v. Konfirmation). Ein jüdischer Junge wird im Alter von 13 Jahren in einer Feier, während der er zum ersten Mal aus der Tora vorliest, volles Mitglied der Gemeinde.
Ein jüdischer Gottesdienst kann nur dann gefeiert werden, wenn mindestens 10 erwachsene männliche Gemeindemitglieder zusammenkommen. Daher war es oft erforderlich, dass sich die Juden aus benachbarten Dörfern und Städten zusammenschlossen.Bis 1844 war die jüdische Bevölkerung in Atzbach, bisher zur Gemeinde Vetzberg gehörig, so stark angewachsen, dass sie baten, eine eigene Gemeinde Atzbach gründen zu dürfen.
Die Gemeinde Vetzberg verlor auf diese Weise an Mitgliedern.
Seit 1764 ist für Vetzberg die bis 1893 benutze Synagoge im Haus Mittelgasse 2 belegt.
Sie war 14 Fuß lan, 12 Fuß breit und 8 Fuß hoch und bot bis zu 25 Männern Platz.
Die Frauen hatten „ihren Platz vor der Thür auf dem Gang“.
Das Holz für das Fachwerkhaus wurde, nach einer Jahresringzählung, im Winter 1695/6 geschlagen. Da das Holz frisch verarbeitet wurde, kann man davon ausgehen, dass das Haus 1696 von dem jüdischen Arzt Löw erbaut wurde. Als Erbleihe für das Gartenland, auf dem die Synagoge errichtet wurde, wurden jährlich eine Gans und ein Huhn fällig, oder stattdessen 21 Albus an Geld.
Im Keller des Hauses befanden sich im Kellergewölbe zwei inzwischen zugeschüttete Brunnen bzw. Wasserlöcher, die vermutlich zur rituellen Reinigung benutzt wurden. Allerdings ist ein Mikwe (Judenbad) in Vetzberg nicht schriftlich belegt. In Rodheim wurde 1844 für das Haus (heute Fellingshäuser Str. 12) die Genehmigung erteilt, ein Mikwe anzulegen. Andere Brunnen mussten dafür im Gegenzug vorschriftsmäßig verfüllt werden.
Die Synagoge wurde manchmal auch Judenschule genannt. Nach der Synagogenrechnung aus dem Jahr 1831 erhielt der Lehrer 1 Gulden und 30 Kreuzer für das Lesen aus der Thora und für die Unterrichtung der Kinder in Hebräisch. Ab 1837 wurde den Unterricht dann von den Eltern oder in Gießen erteilt. 1847 wurde wieder ein Lehrer eingestellt, um einen Rodheimer und zwei Vetzberger Kinder „in den jüdischen Gebeten zu unterrichten“.
Von den vormals 19 „großährigen“ (über 13 Jahre alten Juden) war 1893 einzig noch eine Familie in Vetzberg, die sich dann der inzwischen gebildeten Gemeinde in Rodheim anschloss. Der letzte jüdische Besitzer der Synagoge verkaufte das Gebäude 1893.
Jüdische Häuser und Familien in Vetzberg
Zu den 1664 noch allesamt armen Judenfamilien Vetzbergs kam gegen Ende des 17. Jahrhunderts die wohlhabende Familie des jüdischen Arztes Herz Löw. Die vier Söhne des Doktors studierten in Gießen Medizin. Bei allen erschien in der Matrikel der Zusatz „Judaeus Fetzbergensis“ (Jude aus Vetzberg).
Meist stellten die Adeligen, die Juden in ihren Schutz aufnahmen, diesen auch Wohnungen zur Verfügung. In den Gleiberger Amtsrechnungen tauchen 1752 immer wieder die Anwesen (heute Untergasse 1 und 3) auf, die nacheinander von den Familien Herz Löw, Herz Katz, Juda Katz, Löw Salomon, Abraham Bär und Isaak Michel gehörten. Das Haus Mittelgasse 3 war zeitweise im Besitz der Familie Herz Bär. Das Haus Mittelgasse 2 war dem Judendoktor Löw, später der Familie Liebmann Bär, zuletzt der Familie Hirsch Bär. In der Obergasse 4 stand das Haus der Familie Liebmann Bär.
Die letzten in Vetzberg, in der Untergasse 17, lebenden waren der Schuster und Kaufmann Isaak Michel mit seiner Frau Stettchen, geb. Katz und den Kindern Recha (Rebbekka), Siegmund, Julius und Selma.
Recha wurde im Jahr 1900 von ihrem Vetzberger Lehrer mißbraucht und wurde dadurch mit 14 Jahren Mutter einer Tochter. Der Täter wurde 1901 wegen dieses Sittendeliktverbrechens an einem Schulkind zu 3 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrenverlust verurteilt.
Sieben Jahre später, 1908 zog die gesamte Familie Michel nach Gießen.
Später emigrierten einige in die USA, andere starben 1943 im Konzentrationslager Sobibor und Auschwitz. Ein Sohn überlebte mehrere Konzentrationslager.
Waren die Juden durch die Jahrhunderte hindurch eine Minderheit, so übersteig jedoch die systematische Vernichtung durch die Nazis alles bisher Dagewesene. Unvorstellbares ist tatsächlich geschehen.
Es gilt die Erinnerung wach zu halten, damit so etwas nie wieder passieren kann!
Quelle: „Vetzberg im Wandel der Zeit“ – Originaltext siehe unten – mit Genehmigung durch Frau Gabriele Wölfel vom Vetzbergverein